Barefoot Wanderer dŸrfte ohne Zweifel zu den grš§eren †berraschungen des noch recht jungen Jahres zŠhlen
Ein Text wie dieser hier ist normalerweise dazu da, die Vita eines Künstlers zu bündeln und all seine Stationen noch einmal abzulaufen. Es wäre im Fall dieser Band eine Bedingung, von ihrer Gründung in Berlin im Jahr 2002 zu
erzählen. Einer Gründung, die nicht nur eine Bandgründung war, sondern auch eine Moderation von verschiedenen kulturellen Hintergründen - die Beats kommen von Robot Koch aus Berlin, der Gesang von Sasha Perera aus
London und die Basslines von Oren Gerlitz aus Tel Aviv. Oder auch von der frühen Hofierung durch John Peel. Oder ihren Albumveröffentlichungen von “Purde Breed Mongrel” (2005) und “Blitz 'n' Ass” (2007). Ihren unzähligen
12inch-Releases auf Labels wie Citizen Recordings, Crosstown Rebels oder Playhouse. Ihren Aufsehen errgenden und unberechenbaren Live-Shows weltweit, die sich im Jahr 2008 über vier Kontinente erstreckten und von der
Transmediale in Berlin bis hin zu Raves in Transilvanien nahezu alles abdeckten. Ihren zahlreichen Kollaborationen mit Leuten wie Modeselektor, Asian Dub Foundation, Anti Pop Consortium, Buraka Som Sistema und etlichen
mehr. Auch von ihrer unleugbaren Vorreiterrolle, was interdisziplinäre Sounds und das Verschränken von Genres wie Grime, Punkrock, HipHop und verschiedene Formen von Electronica zu einem ganz eigenen Pop- Entwurf
angeht. Einer Vorreiterrolle, die sie mit genau dem Geist ausfüllen, der auf dem Dach des Global Village immer wieder seelenverwandte Projekte wie Diplo- oder Switch-Produktionen, Figuren wie Terry Lynn oder M.I.A. oder
Subgenres wie Baile Funk, 2 Step oder Booty Bass zu Zeitgeistphänomenen formt. Das alles müsste hier stehen und, nunja, nun steht es auch hier. Aber eine Band, die ein Album wie “Barefoot Wanderer” aufnimmt, kann kaum an
Selbstreferenzialität gelegen sein. Vermutlich hilft es sogar, vieles über Jahcoozi wieder zu vergessen. “Barefoot Wanderer” ist ohne Zweifel eine Zäsur. Der Titel legt es bereits nahe: Es ist die Einführung eines neuen Purismus.
Es ist mitnichten ein lautes, buntes und Bühnen-taugliches Album geworden. Das wäre auch zu einfach gewesen. Natürlich sind Jahcoozi weiterhin rastlose Grenzüberschreiter. Mit Unterstützung des Goethe Institutes bereisen sie
Kenia und nehmen dort den Track “Msoto Millions” mit MCs von Uko Flani, einer kenianischen Dancehall/Reggae-Crew in Nairobi auf. Sie bringen Freunde aus allen Himmelsrichtungen auf dem Album zusammen, Perkussionist
Guillermo Brown aus New York, die belgische Sängerin Barbara Panther oder den (Achtung!) Tontopfpercussionkünstler Oori Shalev aus Israel. Sie nehmen von jeder ihrer Reisen irgendein Soundupdate als Souvenir mit, aber sie
poltern nicht mit irgendwelchen Hypebeast-genehmigten Sneakern an den Füßen durch die Welt - sie gehen barfuß. “Barefoot” - das ist nicht allein das schlüssigste Bild, dieses Album zu beschreiben, es ist so etwas wie ein
Mentalitätsbranding von Jahcoozi und den Brüdern im Geiste Stereotyp & Alhaca in Wien und jedem sonst, der sich in den unterschiedlichsten BPMund Bass-Welten zuhause fühlt. Sozusagen der Versuch, der Zurückweisung
einer Genrefestlegung einen Genrebegriff überzuwerfen. Es ist nicht so, dass dieses neue Album die bandtypischen Referenzpunkte komplett revidiert, es durchsucht jedoch viel subtiler als jede ihrer vorherigen Arbeiten deren
unerforschte Nischen. Vermutlich hat sich diese Band noch nie zuvor stilistisch so weit ausgedehnt, um sich am Ende zu einem Mikrokosmos mit eigenen Gesetzen und eigener Sprache zu verdichten. “Barefoot Wanderer” ist
ganz klar das in sich geschlossenste und kohärenteste Jahcoozi-Album. Sein Sexappeal wird nicht mehr nur qua Sashas Bootyshake kommuniziert, er strahlt vielmehr aus einem mysteriös vernebelten Discofunk-Abgrund heraus.
Das Album macht wie nichts anderes derzeit Breakbeat wieder zu einer gültigen Währung, es entwickelt Dubstep weiter, es lässt den frühen Dancehall-Spirit durchscheinen, es belebt sogar die Aussagekraft und den Agitationskult
von Digital Hardcore, ohne in der formalen Ausführung zu ausdrücklich zu werden. Es ist im Gegenteil ein Dokument der Subtilität. In jeder Auslassung manche davon reichen bis in Ambientästhetik hinein - arbeiten allerdings die
klarsten Ansagen und die raffiniertesten Pop- Versuche, die die Band bislang unternommen hat. Und die wirklich expliziten Momenten, wie das von M. Sayyid (Anti Pop Consortium) angetriebene “Power Down Blackout”,
formulieren sie mit einer Lässigkeit, die eine Crowd gleichsam im Handumdrehen zum Schwitzen bringt. Alles in allem ist “Barefoot Wanderer” das Album, das ganz sicher niemand erwartet hat, das aber die einzige logische
Konsequenz sein kann, bei einer Band, die Unberechenbarkeit als einzige Konstante zulässt.